Aktuelles > Vielfalt und Inklusion in Mobilitätskonzepten
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Interview mit Michel HECKEL, Abteilungskoordinator Verkehr & Mobilität, Luxplan
Die inklusive Planung ist ein sehr wichtiger Aspekt, der aber leider oft zu kurz kommt. Es gibt zwar seit langem diverse Richtlinien, die eine allgemein gerechte Planung ermöglichen, jedoch werden diese nicht kategorisch angewendet. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Zum einen sind diese Richtlinien nicht jedem Planer bekannt, zum anderen sind die anfallenden Mehrkosten einer inklusiven Planung für den Bauherrn oft eine Hemmschwelle, vor allem, weil dadurch anscheinend nur wenigen Menschen geholfen wird.
Dazu muss man sagen, dass leider die wenigsten wissen, wie viele Menschen tatsächlich mit einer Behinderung zu kämpfen haben. Das Problem ist nämlich, dass die meisten bei einer inklusiven Planung nur an Personen im Rollstuhl bzw. an blinde Personen denken. Da hört es aber nicht auf. Im Fachbereich wird von einer mobilitätseingeschränkten Person (PMR – „personne à mobilité réduite“) gesprochen, also einer Person, die in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt ist und sich nicht der Norm entsprechend fortbewegen kann. Hierunter fallen jedoch auch Personen mit Kinderwagen, ältere Leute mit Rollator oder Gehhilfe, Kinder, Personen mit Sehbehinderung, usw. Dieser Fachbegriff umschließt also viele Personen. Daran wird aber oft nicht gedacht, wenn es beispielsweise um die Festlegung der Breite des Bürgersteigs geht. Bestenfalls wird bei der Planung „nur“ an rollstuhlfahrende Personen gedacht und aufgrund der vermeintlich geringen Anzahl dieser Personen, dann auf richtlinienkonforme Breiten verzichtet.
Wir sind heutzutage noch ein gutes Stück von einer inklusiven Planung entfernt. Der Begriff Inklusion bedeutet ja, eine bestimmte Gruppe in die Gesellschaft einzuschließen und nicht mehr zu unterscheiden. Bestenfalls sprechen wir heute über eine integrative Planung, also einer Eingliederung dieser Gruppe. Alleine bei der inklusiven Planung von Mehrkosten zu sprechen, zeigt dies ja schon. Erst wenn die inklusive Planung zur Normalität wird, haben wir das Ziel erreicht.
Da wir von viel mehr Betroffenen reden als man denkt, denke ich, dass die Zugänglichkeit noch nicht ausreichend berücksichtigt wird. Die Mobilität ist ein Grundbedürfnis jedes Menschen und dementsprechend sollte dies auch jedem Menschen ermöglicht werden. Allerdings befinden wir uns die letzten Jahre aber in einem Prozess bei dem, zumindest in der Mobilitätsplanung, schon einige Fortschritte erzielt wurden. So hat beispielsweise die Straßenbauverwaltung (Administration des Ponts et Chaussées) alle Bauherren kategorisch dazu verpflichtet, bei der Planung von Zebrastreifen oder Bushaltestellen auf dem staatlichen Verkehrsnetz, die Bedürfnisse von mobilitätseingeschränkten Personen zu berücksichtigen. Trotz der Mehrkosten bleibt den Bauherrn keine Wahl, da ansonsten keine Genehmigung für die Ausführung der Arbeiten ausgestellt wird. Somit wurden die letzten Jahre dann trotzdem viele Projekte mit inklusiver Planung umgesetzt.
Ähnlich verhält es sich mit der Gesetzgebung. Obwohl es schon seit längerem ein Gesetz gibt, welches die inklusive Planung fördern soll, war die Umsetzung eher mangelhaft. Nun wird zum ersten Juli dieses Jahres das neue Gesetz vom 7. Januar 2022 über die Zugänglichkeit für alle von öffentlich zugänglichen Orten, öffentlichen Straßen und Mehrfamilienhäusern in Kraft treten. Ab dem Zeitpunkt müssen alle neuen Projekte konform zum Gesetz sein und mittels Zertifikates beglaubigt werden. Wie der Name es schon sagt, fallen hierunter alle öffentlich zugänglichen Orte, wie Rathäuser, Schulen, oder Bankschalter, öffentliche Straßen und Mehrfamilienhäuser. Das Gesetz sieht zudem auch neue Zugänglichkeitsanforderungen für die bereits bestehenden Orte vor, um auch diese Orte in den kommenden 10 Jahren für alle zugänglich zu machen.
Die aktuelle Entwicklung und die Offenheit der jüngeren Generationen bereiten jedoch allen Grund, optimistisch nach vorne zu blicken.
Ich denke beides, aber hauptsächlich ist es eine Sache der Erziehung. Von Generation zu Generation werden die Menschen offener und geben dies entsprechend an ihre Kinder weiter. Die neueren Generationen haben allgemein viel Erfahrung mit Integration oder Inklusion, besonders in einem weltoffenen Land wie Luxemburg. Früher gab es noch andere Werte, eine andere Erziehung aber auch eine andere Ausbildung. Sehr wahrscheinlich hatte die inklusive Planung damals noch einen anderen Stellenwert als heute, genauso wie die aktive Mobilität im Allgemeinen. Deswegen ist es auch nicht verwunderlich, dass damals anders geplant wurde. Trotzdem denke ich, dass diese Thematik auch heute noch in der Ausbildung verstärkt, angesprochen werden sollte. Ich habe z.B. in einer spezifischen Weiterbildung sehr viel über diese Thematik dazu gelernt, im Studium lagen die Schwerpunkte eher woanders.
Ja, ganz klar. Eben mit diesem Gesetz vom 7. Januar 2022, obwohl dieses streng gesehen vom Ministerium für Familie, Integration und die Großregion ausgearbeitet wurde. Wichtig wird aber vor allem die Frage der richtigen Umsetzung und an dieser Stelle müssen die Gemeinden eine Vorbildfunktion übernehmen. Aber auch wir als Planungsbüro stehen in der Verantwortung damit die Planung inklusiver Projekte zukünftig selbstverständlich wird.
In erster Linie haben wir uns entsprechend aufgestellt, dass wir ab Juli unsere eigenen, aber auch andere Projekte zertifizieren können. Ziel ist es außerdem, die Gemeinden bei ihrer Vorbildfunktion so gut wie nur möglich zu unterstützen, indem wir Ihnen beispielsweise helfen, ein Inventar und eine Analyse vom Bestand zu erstellen. Somit hat die Gemeinde eine Übersicht über den Aufwand und die Kosten, welche die nächsten Jahre auf sie zukommen um den Bestand, sofern möglich, konform zu den neuen Vorgaben setzen.
Das Hindernis liegt ganz oft am Bewusstsein oder/und am Willen des Bauherrn und der Planer. Die Vorgaben und Richtlinien aus dem neuen Gesetz sind ja nichts neues. Das neue Gesetz verpflichtet uns nur genauso zu planen und zu bauen, wie wir es eigentlich schon länger hätten tun können.
Der Grund warum wir nicht schon länger so planen liegt auch, wie bereits erwähnt am fehlenden Bewusstsein der Notwendigkeit dieser Planung. Die Anzahl der betroffenen Personen ist höher als man denkt. Außerdem kann es leider jedem passieren, dass er von einem Tag auf den anderen selbst betroffen ist. Es geht darum, die Orte für alle zugänglich zu machen. Natürlich müssen wir einsichtig bleiben und uns bewusst sein, dass auch die inklusive Planung ihre Grenzen hat und wir nicht alle Hindernisse und Barrieren aus der Welt schaffen können. Die betroffenen Personen haben unterschiedliche Einschränkungen und daran können mir zumindest in der Planung nichts ändern. Trotzdem sollten wir versuchen, mit den verfügbaren Mitteln, jedem die gleiche Chance auf eine autonome Mobilität zu ermöglichen.
Wenn man zudem an die beiden Behinderungen denkt, die den meisten Personen zuerst oder ausschließlich in den Kopf kommen, muss man sagen, dass sie in Bezug auf Praktik am wenigsten kompatibel sind: Während eine blinde Person taktile Elemente, also erkennbare Höhenunterschiede, benötigt, um sich fortbewegen zu können, ist eine Person im Rollstuhl auf eine ebene Bodenfläche angewiesen. Es ist also nicht immer einfach, beide Bedürfnisse angemessen zu kombinieren.
Ich bin aber auch der Meinung, dass viele Planer noch nicht vollständig bei der inklusiven Planung angekommen sind. Es ist nicht jeder sich bewusst, was inklusive Planung genau bedeutet. Eine blindengerechte Planung bedeutet nicht, dass alle Bürgersteige zukünftig mit taktilen Blindenleitsystemen ausgestattet werden müssen. Solange an der straßenabgewandten Seite des Bürgersteigs eine überwiegend durchgehende taktile Leitlinie vorhanden ist, finden die Blinden oder Personen mit Sehbehinderung sich gut zurecht. Wichtig ist, diese Linie nicht mit Hindernissen wie Straßenlaternen, Straßenmobiliar oder Versorgungskästen zuzustellen.
Ein weiteres Hindernis ist die Ästhetik. Offen gesagt, sind Bodenindikatoren nicht immer schön, vor allem weil hiermit auch ein ausreichender Kontrast zum Bodenbelag hergestellt werden muss. Viele Planer fühlen sich hierdurch in ihrer Freiheit eingeschränkt. Jedoch merkt man, dass auch viele Hersteller von Ausstattungen des öffentlichen Raumes auch auf den Zug aufspringen und immer mehr innovative Lösungen anbieten.
Zuletzt müssen wir auch noch darauf achten, dass wir nicht nur richtig planen, sondern die Planung auch beim Bau richtig umgesetzt wird. Auch bei den Baufirmen und bei der Bauüberwachung muss folglich noch mehr Bewusstsein geschaffen werden.
Alles in allem stellt die inklusive Planung uns momentan vor einige Herausforderungen, aber die Kunst Lösungen hierfür zu finden ist doch das Schöne am Beruf des Planers. Wo ein Wille ist, ist bekanntlich auch ein Weg.
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